Freitag, 6. Juli 2012

Für Leslie Cheung

Im Winter welken die Blumen, in der Wärme des Frühlings erblühen sie, Menschen verlassen uns, und Menschen kehren zurück. 

Der erste Länge Weibo Eintrag, gewidmet meinem Idol.

Am 1. April 2003 war ich mit dem Auto unterwegs von Peking nach Shanghai. Davor war ich kein Fan von dir, ich wusste nur, dass du 倩女幽魂 gesungen hattest. Ich fand sogar, du hast aber schon lange nichts mehr von der hören lassen, kein Album herausgebracht, dachte, du hättest die Herzen der Menschen verloren.

Auf dem Abschnitt durch Shandong der Peking-Shanghai Autobahn begann ich dich tiefer zu verstehen. Dies ist eine Landschaft aus hartem Stein, man sieht kaum Grün. Wenn ich früher durch HebeiShandong und Jiangsu fuhr und das Radio aufdrehte, wenn darin nicht gerade Aphrodisiaka verkauft wurden, dann Kuren gegen Geschlechtskrankheiten. Dazwischen eingestreut Anrufe angeblicher Patienten, die behaupteten, die Wirkung sei grossartig, und wo man es genau kaufen solle. Ich fragte mich häufig, wie irgendjemand auf eine solch durchsichtige Verarsche reinfallen konnte. Diese Welt muss wirklich von Verzweiflung erfüllt sein. Doch dieses Mal, egal auf welchen Kanal ich umschaltete, es ging um dich und deine Lebensgeschichte, und natürlich um Lieder die du sangst. Manchmal konnte ich mich sogar dabei ertappte, ab und an einige Takte mitzugrölen ohne die Melodie zu beherrschen. Ich kannte die Lieder, und erst jetzt wusste ich, dass es deine waren. Auf der Höhe von Linyi begann sogar der Radiosprecher "奔向未来的日子" (Den Zukunftstagen entgegeneilen) zu singen.

Für dich gibt es jetzt keine Zukunftstage mehr, du lebst nun in den Tagen, die nicht Zukunft sondern Ende sind. In jenen Tagen war ich ein ausschweifender, nichtswissender Jugendlicher, für die sogenannten Superstars aus Taiwan und Hong Kong hate ich nur Verachtung übrig, und dadurch hatte ich dich verpasst. In jenen Jahren war ich in Peking, verloren wie ein Autofahrer in dichtem Nebel, so lebte ich. Es war Glück, dass ich nie auf die falsche Spur der Autobahn fuhr. Als ich dich verstanden hatte gab war es bereits zu spät um an dein Konzert zu gehen. Hätte ich jetzt die Möglichkeit, egal ob ich Geld hätte oder nicht,ich würde ein Ticket für die erste Reihe kaufen. 

Ich will dir nicht schmeicheln. Ich denke sogar, lebtest du noch, und die Gelegenheit ergäbe sich, so möchte ich mit dir eine Mahlzeit teilen und ein wenig plaudern. Jene Reise von Peking nach Shanghai war magisch, auf der anderen Seite der grossen Brücke über den Yangtse angekommen ging ich zum nächsten Rastplatz, ass eine Schale Instantnudeln. Ich erinnere mich, dass das Rauschen des Flusses direkt neben mir hören konnte. Ich kaufte mir zwei deiner Alben, leider gab es nur Raubkopien. Ich fuhr wieder los und schob deine CD in den Player.

Leider konnte ich dich nicht hören, da ich dummerweise Video CDs gekauft hatte. Ich war war immer näher an meinem Heimatort. Auf 1200 Kilometern hatte ich für dich keine Tränen vergossen, schliesslich hatten wir uns erst kennengelernt, das musst du verstehen. In Shanghai angekommen kamen meine Freunde immer wieder auf dich zu sprechen. Manche waren trauerten still, manche weinten, aber die meisten waren etwa so: Oh, echt. Schräg, der hatte doch so viel Geld, warum sollte der sich umbringen? Schade. Es gab auch welche, die böse gegen dich stichelten - bis heute kenne ich Leute, die sagen, dass du eine unheilbare Krankheit gehabt hättest oder etwas anderes getan hättest, und nur deshalb in den Tod gesprungen warst. Jedes Mal streite ich mit ihnen darüber. Einen Monat später, am Tag der Arbeit, an dem wie immer keiner arbeiten mochte, zwei Monate später, am Tag der Kinder, die wie immer lachten und kreischten, nach drei Monaten, nach vier Monaten, ein Jahr danach am Gedenktag, bis jetzt, neun Jahre später, hat sich diese Welt nicht geändert. In diesen neun Jahren hast du mich durch viele schwere Zeiten begleitet, es ist schade, dass deine Lieder, die mich angespornt haben, dir selber keine Kraft mehr geben konnten. 

Ich denke, ich habe dich jetzt verstanden, Leslie. Diese Welt vor unseren Augen ist nicht so, wie wir beide uns sie vorstellen. Du konntest sie nicht ändern. Und ich kann sie nicht ändern. Dieses Jahr werde ich dreissig, ich habe nicht so viele Werke geschaffen wie du. Du bist von uns gegangen, aber deine Lieder können von den Leuten noch in dreissig, fünfzig, ja hundert Jahren gesungen werden. Sollte ich sterben, dann mögen sich in fünf Jahren noch ein paar Leute an meine Schriften erinnern, aber in zehn Jahren kaum noch jemand. Vielleicht werde ich viel länger als du leben, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht werde ich mal ein alter Sturkopf sein, vielleicht werde mein Alter aber auch gar nicht erleben. Wer kann das wissen.

Leslie, in vielen Jahren werden wir uns treffen. Meine Errungenschaften werden sich nicht mit deinen messen können, aber auch nicht nichts: Es wird genug sein, um darüber zu sprechen. So wie bei dir werden viele Kontroversen erst nach dem Tod verstummen, oder vielleicht noch nicht mal dann. An dem Tag, an dem wir uns treffen werden, ich hoffe, es stört dich nicht, werde ich dir einen Liedtext schreiben. Es wird ein guter sein, aber ich fürchte, du wirst in Mandarin Chinesisch singen müssen. Du sagst, du hättest dein ganzes Leben lang nichts Böses getan, warum ist das so? Ich denke, ich kann dir sagen warum. Weil du dein Leben lang nichts Böses getan hast, einfach so.

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