Dienstag, 26. Juni 2012

Han Han: Ja, dann bin ich halt ein stinkender Intellektueller! 韩寒:就要做个臭公知!


Öffentlicher Intellektueller, dieses Wort stinkt mehr und mehr, sein Gestank kann sich schon bald mit demjenigen des Wortes Intelligenzija (Kampfbegriff in der Kulturrevolution, als Intellektuelle verfolgt wurden). Dass dieses Wort derart in den Dreck gezogen wurde war eine Sache dieser letzten zwei Jahre. Man denke zurück an früher: Viele Zeitschriften wählten den Intellektuellen des Jahres, auch ich kam einmal in den Genuss dieser Ehre. Aber, ich weiss nicht wann genau, aber plötzlich wurde dieses Wort zu einem Schimpfwort. Sogar wenn beide Debattanten offensichtlich öffentliche Intellektuellen waren, mitten in der Debatte konnte einer der beiden unvermittelt den anderen einen "öffentlichen Intellektuellen" nennen. Die Gegenseite, mit diesem Vorwurf konfrontiert, ergab sich ohne Diskussion in die eigene Niederlage, das war noch besser als "Das Gegenüber fährt im BMW mit Swag davon". Danach wurden alle noch klüger: Nun behauptete jeder, die "Graswurzeln" zu vertreten, keiner war mehr ein Intellektueller. Doch bald merkte man, dass es halt doch nicht so interessant ist, zweien Graswurzeln beim beim Debattieren zuzuhören, denn schliesslich ist "Graswurzel" ja nur ein Euphemismus für Shitizen, den ewig verarschten Kleinbürger. Wenn sich da zwei gegenseitig ankeifen, verlieren sie doch nur beide, der Rest geht weiter. Deshalb kam bald ein neues Wort auf: Meinungsführer. Und wieder dauerte es nicht lange, da wimmelte es in den Internetforen von Meinungsführern. Bei jedem öffentlichen Vorfall*, da reihten sich die "Meinungsführer" wie auf Befehl in einer Reihe auf, da sieht man doch lieber NBA. Da betrat mit breiter Brust und Durchschlagskraft wie ein Vorschlaghammer das Wort "Bürger" die Bühne, als "Bürger-Intellektueller" (公共知识分子), später vereinfacht als Öffentlicher Intellektueller (公知). Dieses Wort ist sicher**, und es kann nicht so leicht in den Dreck gezogen werden - obwohl es natürlich auch bei diesem Wort einige versucht haben, indem sie sagen: Was, Bürger, die sind doch auch nach Erfolg und höheren Ehren aus, Poser in geschmacklosem Aufzug. Schliesslich wussten die meisten Leute beim besten Willen nicht mehr, wie man diese Leute nennen sollte. Der Gestank des Ausdrucks "Öffentlicher Intellektueller" hängt in nicht geringem Masse auch mit demjenigen des Wortes "Allgemeinwissen" zusammen, Intellektuelle haben tatsächlich genug Macken und Charakterschwächen, viele sind dogmatisch, viele aalglatt, lüstern, planlos, opportunistisch, oder geschwätzig, manche sind grob, angeberisch, rückgratlose Windfahnen, jederzeit bereit, sich in Gruppen zusammzurotten um eine neue Sau durch die Strassen zu treiben. Manche lieben die grosse Pose, manche sind charakterschwach, bei vielen stimmen Worte und Taten nicht überein, manche lieben Panikmache, viele sind partikularistisch, greifen an, wer zur anderen Gruppe gehört und heissen alles gut, was aus der eigenen Gruppe kommt. Dann treten solche Leute vor Kameras, reden in Mikrofone, geben ihren Senf zu jedem möglichen Thema, pausenlos, und im grellen Rampenlicht treten dann auch ihre Unzulänglichkeiten nur immer klarer zutage und nerven die Zuschauer. Doch wenn wir einmal darüber nachdenken: Trifft das nicht auf die führenden Persönlichkeiten aller Branchen zu? Man regt sich ja gerne über die sexuelle Freizügigkeit im Show-Biz auf - oder ergötzt sich daran, aber es gehe doch jeder mal durch sein Büro und schaue sich genau um: Ist es wirklich so viel besser? Die Geschichte lief bestimmt so ab: Die Öffentlichen Intellektuellen und Meinungsführer erhoben ihre Stimmen, sprachen vielen Leuten aus dem Herzen, was die Leute natürlich schön fanden. Aber nach einer Weile langweilten sie sich ab dieser sich endlos im Kreis drehenden Debatten. Dass die sich endlos wiederholen lag aber weniger an den Debattierenden als an der Regierung, die immer wieder dieselben Fehler und Skandale produziert, die dann jedesmal besprochen werden müssen. Plötzlich ging jemand ein Licht auf, und er schrie es laut hinaus: Die öffentlichen Intellektuellen sind doch alle reich und berühmt - so gut sind die auch wieder nicht - sie leben auch von Politik und Emotionen. Öffentliche Intellektuelle stinken!

Ich habe Freunde, die es nicht mögen, wenn sich Öffentliche Intellektuelle, die als Literati angefangen haben, die Gesellschaft kritisieren. Er findet es aufgesetzt und es wiederholt sich wie eine schlechte Filmszene, die immer und wieder abgedreht werden muss. Er hört viel lieber auf Geschäftsleuten, die es zu etwas gebracht haben. Er folgt Leuten wie Li Kaifu (Gründer und erster Präsident von Google China), Wang Ran (Gründer einer der führenden Chinesischen Investmentbanken) und Pan Shiyi (Immobilienhai) auf Weibo. Ihre Posts leitet er täglich weiter, und ihre Schreibe findet er mindestens so gut wie die der Schriftsteller und Journalisten. Ausserdem sind sie viel näher an den Realitäten der modernen Welt und ihr Tonfall ist auch viel angenehmer. Aber am wichtigsten: Sie sind bereits reich und brauchen sich deswegen nicht mehr zu verstellen. Beim Essen kam aber ein anderer Freund mit einem Hintergedanken darauf zu sprechen: "Das muss nicht sein, gerade wenn der Mensch Geld hat, beginnt er Wert auf seinen Ruf zu legen. Ich glaube, ihre Motive sind nicht rein, auch sie leben davon, sie sind nichts als eine andere Sorte stinkender öffentlicher Intellektueller. Obwohl mein Freund gegen diese Interpretation ankämpfte gab er bald auf und Tags darauf retweetete er nur ein paar zynische Witze. Er beruhigte sich erst nach ein paar Tagen. Ein anderer Freund mag Yao Chen (Schauspielerin, bekannt u.a. durch Feichengwurao). Er findet dass sich im Showbiz nur wenige um das wahre Leben kümmern, und dass sie sich häufig für die Schwachen einsetzt. Viele andere beeindruckt das gar nicht: Das kann ja auch wohlgeplant sein, um sich von anderen Stars abzugrenzen, sich eine Marktnische zu schaffen: Eine stinkende öffentliche Intellektuelle.

Ich habe einen Freund, der mag XXX***, findet XXX krass. Andere widersprechen natürlich, finden, dass XXX auch nur eine Pose durchzieht, je mehr er sabotiert wird, desto höher sein Status und sein Einkommen. Er ist wohl mehr als ein Stinkender Öffentlicher Intellektueller - nämlich die 2.0 Version.

Natürlich gibt es auch welche, die von mir sprechen. Als ich im Untergymnasium Aufsätze schrieb, gefiel es mir, dieses und jenes zu kritisieren. Ich hatte keine klaren Vorstellungen, aber alle prägenden Bücher meiner Jugend stammten aus der Zeit der chinesischen Republik, und so fühlte ich tief in mir, dass Aufsätze dazu da sind, Sachen zu kritisieren. Ein auch aufs Schreiben versessener Mitschüler könnte von anderen Büchern geprägt gewesen sein, deshalb konzentrieren sich die einen auf die reale Welt, andere auf Astrologie. Das ist alles cool. Obwohl mein erstes Buch ein grosser Erfolg war, wurde ich unverdienterweise durch meine Blogposts und Aufsätze berühmt. Mit so ein paar Artikeln verdiene ich noch nicht einmal schlecht, ich werde sogar öfters verdächtigt, ein 50-Centler**** zu sein. Ich bin dann wohl die 3.0 Ausgabe. 

Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass jeder, der nicht auf offener Strasse geprügelt wird, dessen Leben nicht nur armselig ist, allen Arten von vernichtender Kritik begegnet. Zugespitzt gesagt: Wenn es nicht aufgesetzt ist, dann ist es ein 50-Centler, und mit Sicherheit ein Profiteur von der Politik und der Aktualität. Und sobald sich diese Intellektuellen einmal nicht einig sind, giften sie sich gegenseitig an und geben den Leuten den Eindruck, dass sie doch alles Arschlöcher sind. Dabei schreiben die Leute selber immer besser, und so wurde aus dieser Auszeichnung ein Schimpfwort. 

Wenn es nun schon so ist, habe ich verstanden, ganz egal ob ich es verneine oder bejahe, oder sogar eine neue Bezeichnung für mich selber suche: Ich bin einfach ein stinkender öffentlicher Intellektueller. Jemand sagte mal: Egal, welchen Namen man dieser Gruppe gibt, öffentliche Intellektuelle, Intelligentsia, Meinungsführer, Bürger: Wenn du alleine deine Stimme erhebst, dann ist es geschehen, der Ruhm ist deiner, was kümmerst du dich, ob er stinkt oder wohlriecht. Aber so kann ich nicht denken, und wenn ich auch völlig frei bin, frei wie ein Vogel: wie kann ich es akzeptieren, dass, während ich meine Kreise ziehe, plötzlich meine Art beleidigt wird, als stinkend verschreien ist? Und dass dann jemand auf mich zeigt, und sagt: schau, eine streunende Gans*****? Natürlich hängt das damit zusammen, dass wir uns häufig streiten und uns dann untereinander als Gänse beschimpfen. Dazu kommt, dass die Hühner, die alles beobachten und die Schweine, die die Verwaltung besorgen sich ungemein darüber freuen, wenn unsere Art schlecht aussieht. Für mich sind "Intellektueller", "Öffentlicher Intellektueller" oder "Intelligentsia", egal zu welcher Zeit alles positiv besetzte Worte, wir sollten diese Worte achten. Deshalb ist es schon eine Sünde, dass ich eines dieses Wörter im Titel dieses Blogposts mit dem Wort "stinkend" zusammengeschrieben habe. Im Gegensatz dazu war das Wort "Meinungsführer" noch nie positiv besetzt. Jedes Wort, welches das Wort "Führer" beinhaltet, führt irgendwann zum Ausrotten der Andersdenkenden.

Ja, ich bin ein öffentlicher Intellektueller, ich lebe von Politik, konsumiere die Aktualität und ihre Skandale und bin ein Profiteur der Staatsmacht. Natürlich kann jeder auch mich konsumieren, ohne Trinkgeld zu geben sogar. Wenn Staatsmacht von jedem gefahrlos konsumiert werden kann, wäre das nicht sogar noch besser, jeder würde sich um die heutigen Realitäten kümmern, jeder würde ihre Ungerechtigkeiten kritisieren, vergiftete Medikamente verurteilen und sich über dingfestgemachte korrupte Beamte freuen. Wenn es nur Pose ist, um Fans, Mädchen und Lob zu gewinnen: wenn schon. Wenn du der Regierung, der Staatsmacht und der Politik gegenüberstehst und nicht von ihnen lebst, dann leben sie wahrscheinlich von dir.

Zum Schluss, konfrontiert mit aller Art von Ungerechtigkeiten: niemand kann dich vertreten. Du musst selber zur Tat schreiten. Seit das Internet immer mehr Menschen die Teilnahme am öffentlichen Diskurs ermöglicht ist es nur normal, dass diejenigen, die früher für die Menschen ihre Gedanken formulierten, nun keinen Platz mehr haben. Dass einige von ihnen aufgegeben wurden, bedeutet nicht, dass die ganze Institution aufgegeben wird: Ein Freund hat vor ein paar Tagen einen Post über Nahrungssicherheit geschrieben, im Stile eines öffentlichen Intellektuellen. Und siehe, der Post wurde mehrere Tausend male rettetet. Nun jubiliert und findet nun, diese Öffentlichen Intellektuellen sind so besonders auch nicht, was die tun, das kann er auch. Das ist der Prozess des gesellschaftlichen Wandels. Wir brauchen nicht die Öffentlichen Intellektuellen als solche zu verstossen, sondern wir sollten uns gegenseitig ermutigen, selber welche zu werden!

*diese gibt es in China immer wieder, von Bildern von Beamten mit Luxusgütern und Mätressen zu Korruptions- und Skandalen wegen verseuchter Lebensmittel.
** d.h. unwahrscheinlich, von der Zensur beanstandet zu werden.
*** vielleicht Ai Weiwei? Ein Name aus drei Schriftzeichen, und die Beschreibung macht Sinn.
**** 五毛:50 chinesische Cent: Von der Regierung mit 50 Cent pro positivem, die Regierung lobenden Post bezahlt.
***** Gans bezeichnet in China einen Stricher oder Toyboy.

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