Donnerstag, 19. Juli 2012

Han Han: Das Leben, so wie ich es verstehe. // 韩寒:我所理解的生活


Vor einigen Tagen nahm ich an einem Rennen teil und traf dort auf einen Freund, den ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Heutzutage arbeitet er als Berater für Prominente. Das ganze Wochenende war er immer irgendwo im Fahrerzelt. Am Sonntagabend, als es daran ging, sich zu verabschieden, sagte er mir, dass ich mein Potenzial nur schlecht nütze, dass es Fehler gebe in der Art, wie ich mein Image handhabe, und dass, würde sich ein professioneller Berater dieser Fragen annehmen, dann könnte man das ganz anders aufziehen. Lass es uns so machen, ich gehe nach Hause und schreibe dir eine Zusammenfassung meines Konzepts.

Jetzt hat er gerade angerufen. Ich hätte zuviele Probleme, um sie in einem E-Mail anzupacken. An jenem Rennwochenende zum Beispiel, da hätte ich ständig "Doppelgespiegelt". Ich war verblüfft: Ich wusste von "Doppelgerichtsbarkeit" (die für gefallene hohe Beamte gilt), aber "Doppelreflexion", davon hatte ich wirklich noch nie gehört. Nach einer halben Ewigkeit ging mir endlich ein Licht auf: dieses sogenannte "Doppelspiegeln" bedeutete, dass ich meine Kleider auf links angezogen hatte, weshalb aussen zu innen und vorne zu hinten wurde! Ich sagte, ich hätte das Haus in zu grosser Eile verlassen und nicht genau aufgepasst, und es hätte mich auch niemand darauf aufmerksam gemacht. Kein Wunder hatte ich mich das ganze Wochenende ein wenig eingeengt gefühlt um den Hals herum!

Mein Freund meinte, das sei ja grosses Problem, ich sei ja sowieso etwas verschlampt, aber dadurch gebe ich den Leuten natürlich eine Möglichkeit, sich über mich lustig zu machen. Wirklich gravierend ist, dass ich einfach auf dem Sofa im Fahrerzelt geschlafen habe. Während ich schlief hätten mich insgesamt zwölf Leute heimlich fotografiert, fünf von ihnen trugen einen Presseausweis, vier gehörten zu einem Rennteam und die restlichen drei waren andere Fahrer gewesen. Von diesen dreien wiederum haben zwei mit Absicht Fotos gemacht, die mich schlecht aussehen liessen. Er fuhr fort: "Ich habe das recherchiert, fünf von diesen zwölfen haben ihre Fotos auf Weibo veröffentlicht. Ein Photo lässt dich wirklich sehr schlecht aussehen und kann dein Image in der Öffentlichkeit beeinflussen. Es war auch niemand da, der die Leute davon abgehalten hätte, diese Photos von dir zu machen, in unserer Branche wäre so etwas undenkbar!" Ich meinte, da hätte ich nun wirklich nichts dafür gekonnt, ich hatte ja mitten in der Nacht EM geschaut und dann einfach wirklich zuwenig geschlafen. Ich fragte ihn, ob er mir etwa beibringen könne, wie man mit Stil schlafen kann?

Er klärte mich weiterhin auf: "Der Gesichtsausdruck ist nebensächlich, entscheidend ist, dass du dich im Schlaf eingerollt hast, mit den Händen immer im Schritt, diese jämmerliche Haltung zerstört dein Ansehen. Wenn ein Foto davon hochgeladen wird, werden sich viele Fans davon abgestossen fühlen." Darauf ich: "Ich habe ja wohl meine Hände nicht in den Schritt meiner Fans gelegt, sondern zufällig meinen Schwanz angestupst, das geht die doch einen - ja genau - einen Schwanz an! Wenn sie sich abgestossen fühlen, dann scheiss drauf." So könne ich das aber nicht sehen, "Du bist eine Person des öffentlichen Interesses, und wir leben im Twitter Zeitalter, jeder kann in Sekundenschnelle Fotos schiessen und verbreiten, und je extremer die Message desto häufiger wird sie reposted! Du musst sicherstellen, dass kein Foto dein öffentliches Image gefährdet, wie zum Beispiel die Hände, die du an jenen Ort gelegt hast, so ein Bild kann sich mit Leichtigkeit Tausende Male verbreiten." - "Dafür kann ich auch nichts, die Klimaanlage war zu stark aufgedreht und es war viel zu kalt im Fahrerzelt, sobald es ein bisschen Kalt ist, werde ich im Schlaf zum Schrittschützer! (捂裆派 klingt fast gleich wie 无党派 - Ein Parteiloser) Seit Kindestagen ist das so. Ich kann ja nicht jedesmal wenn ich schlafe Leibwächter einstellen um die Leute vom Fotografieren abzuhalten, das wäre doch zu angestrengt."

Mein Freund wies mich noch auf eine Reihe anderer Probleme hin, zum Beispiel dass ich mich mit anderen fotografieren lasse, wenn sie es wollen, ich unterschreibe alles, was mir die Leute hinhalten, das kann zu Verwicklungen führen. Ich: "Das stimmt doch gar nicht, wenn mir die Leute 100 Yuan hinhalten, dann werde ich das nicht unterschreiben." "Gut, zumindest hast du noch dieses Problembewusstsein. In unserer Branche gibt es Stars, die auf einer Banknote ein Autogramm gegeben haben, die wurden deswegen von den Internetusern aufs übelste beschimpft. Es ist sicher nicht gut, den Yuan zu sabotieren!" - "Nein, darum geht's mir nicht, ich möchte nur nicht meinen Namen neben den vom alten Mao Zedong setzen."

Mein Freund entgegnete voll bitterem Hass: "Siehst du, mit solchen Äusserungen musst du sehr aufpassen, damit beleidigst du zuviele Menschen! Im Fahrerzelt hast du auch so geredet, einfach alles was dir in den Sinn kommt, und häufig benutzt du auch Schimpfwörter. Du musst wissen: Wenn jemand dir übel gesinnt gewesen wäre und das aufgenommen hätte, aufs Internet hochgeladen hätte - das sind riesige Negativschlagzeilen. Weisst du wieviele Leute in diesem Zelt waren? Achtzehn. Kennst du die etwa alle?"-"Nein, ein paar kannte ich nicht." Am anderen Ende der Leitung fiel meinem Freund fast der Hörer aus der Hand. "Da gibt es einige, die du nicht kennst, und du redest so? Hast du überhaupt jemals an die Konsequenzen gedacht? Sobald du aufwachst machst du Gruppenfotos mit irgendwelchen Leuten, die Haare wirr wie ein Teletubby, die Leute benutzten noch den Kamerablitz, wie diese Fotos aussehen kannst du dir ja denken. Schau die Farbkomposition deiner Kleidung an, bäuerisch! Und am wichtigsten ist: Auf die kleinen Details achten! Den Hosenschlitz immer ganz zu! Insgesamt bist du einfach zu zwanglos, hast keinen Experten zur Seite, der dir hilft. Wenn du nicht selber dein Image streng und systematisch managst, dann wirst du das Mysteriöse und die Aura des Berühmten bald verlieren. Wenn du eine gute Positionsbestimmung von dir selber vornimmst und den richtigen Assistenten hast, die Kreise, in denen du dich bewegst justierst, dann kannst viel mehr verdienen als jetzt. Sag mir, wie willst du dich managen? Wie stellst du dir das vor?"

Ich: "Das ganze Wochenende habe ich nur daran gedacht, dass mir 0,3 Sekunden zu meinem Gegner gefehlt haben, wie kann ich die wieder einholen? Ich muss schon froh sein, wenn ich nicht nackt rausgehe, wie könnte ich da noch an die Komposition meiner Kleider denken?"

Ich hing auf, tiefe Nacht, Ruhe ringsum. Ich dachte darüber nach was mir mein Freund da erzählt hatte, einiges davon stimmte ja. Im Fahrerzelt habe ich wirklich erzählt was mir gefiel, hatte keine Abwehrhaltung gegenüber niemandem, hätte das wirklich jemand aufgenommen oder direkt übertragen, das hätte Schwierigkeiten gegeben. Die Abwehrhaltung der Menschen gegenüber Fremden sind in den Grundeinstellungen geregelt, ich mag es nun mal, vom Guten im Menschen auszugehen, und erst später die schlechten auszusieben, andere machen es andersrum. Aber all diese Selektionierten schlagen mal fehl. Ich glaube daran, ehrlich mit den Menschen umzugehen, und wenn Verluste entstehen, diese anzuerkennen.

Bezüglich Kleidung: Diesen Sommer habe ich nur ein paar T-Shirts gekauft, und im Winter trage ich auch immer dieselben zwei Lederjacken, Schuhe auch immer dieselben ein, zwei Paar… Bei meinen Wettbewerben geht's um Geschwindigkeit, nicht um Schönheit! Ich habe Angst vor Verletzungen, nicht vor schlechtem Stil.

Im Leben, so wie ich es verstehe, geht es - neben dem Kreieren von Gerüchten - um das Kreieren von anderen Dingen. Gutes Schicksal ist für mich: Wievielt Kultur hast du geschaffen? Da ich nun schon vor 30 Jahren aus 100 Millionen anderen auserkoren wurde, schneller gerannt bin als alle anderen Spermien, da ist meine Geburt doch schon ein starkes Stück, und dass ich nun in dieser Welt bin, muss mit dem Hinterlassen einiger Spuren gefeiert werden. Ich geben zu, schöne Kleidung und ein eleganter Auftritt bedeutet auch, etwas schönes zu schaffen, aber in diesen Bereichen bin ich einfach nicht so begabt. Ich gebe zu, in dieser Gesellschaft glauben viele, dass man keinen moralischen Bankrott erklärt wenn man - solange man nicht zu viel flucht - ein wenig der Wahrheit nachhilft, ein paar leere Worte am rechten Ort, ein paar Höflichkeiten loswird, ein paar skrupellose Gerüchte, verrückte Gerüchte streut. Das finde ich nicht, und den Heuchlern, die so denken, möchte ich hier sagen "Fickt euch!". Ja, das lässt diese erstaunten Ethiker am ganzen Körper zittern, sie werden das heftig kritisieren, schreien und toben, sich am Boden wälzen und um sich schlagen, dann plötzlich aufstehen und den Rechtsweg einschlagen. Die Lösung: "Noch einmal: Fickt euch!". Ich meine nicht euch alle, sondern diese Gesellschaft, in der sich der Glaube festgesetzt hat, manierlich gestellte Fallen seien okay. Diese Gesellschaft gibt denen mit den sauberen Worten aber den schmutzigen Gedanken und Händen die Macht, diese Gesellschaft vertauscht schwarz und weiss willkürlich, vertauscht Recht und Unrecht, diese Gesellschaft nimmt an, dass öffentliche Personen - oder irgendwer - nicht "Fick dich" sagen dürfen, deshalb: Fick diese Gesellschaft.

Das Leben, so wie ich es mir vorstelle, dreht sich darum, das zu tun, was man will, für sich und seine Angehörigen zu sorgen. Es geht nicht darum, hohe Berge zu erklimmen, oder in die Tiefsee zu tauchen, sondern auf einem Bett so zu schlafen, wie es dir passt. Ich finde auch nicht, dass es schön ist, sich etwas aufzuheben, im Gegenteil: Auch Scheitern ist schön! Ich mag noch viel mehr Dinge als nur Schreiben und Rennfahren, und mache auch viele andere Sachen, in manchen bin ich nicht gut genug, in manchen kacke ich ab, und wenn ich mit Freunden rede, sage ich direkt: "Diese Sache finde ich toll, aber ich tauge nicht dafür, ich mach mich lächerlich dabei. Ich hasse es, wenn Leute sagen: "Wenn ich das tun würde, ich wäre sicher besser als X oder Y." Hau doch ab. Du siehst mich auf der Bühne einmal glänzen, im Training kack ich zehnmal ab, na und? Ich bin ja nicht gestorben dabei, solange man immer weitermachen ist das cool, die Leute werden sich nur an das eine mal erinnern, bei dem es funktioniert hat.

Das Leben, so wie ich es verstehe, dreht sich darum, nah an den Sachen zu sein, die ich mag. Ich habe einmal in einem Fast Food Restaurant ein Mädchen gesehen, das mir gefiel, habe dann fünf Minuten gezögert und mich nicht getraut, mit ihr zu sprechen. Nach fünf Minuten ging sie, und ich bereue es bis heute. In jenem Moment war ich ein Idiot, wäre ich hingegangen, was hätte passieren können? Im schlimmsten Fall wäre ihr Freund vom WC zurückgekommen. Am Tag, an dem ich sterben werde, werde ich bereuen, dass ich nicht hingegangen bin, werde bereuen, dass ich andere Sachen nicht gemacht habe. Da ist es doch viel besser, prahlen zu können über die Sachen, die man gut gemacht hat und über die Male lachen zu können, bei denen man versagt hat. Jetzt mache ich genug Sachen, bin mit meiner Familie, meiner Frau und meinen Kindern zusammen, jedes Jahr gegen zwanzig Rennen, habe angefangen, einen neuen Roman und einen Reisebericht zu schreiben. Abgesehen von Fotoshooting für ein Magazincover ist, habe ich wirklich keine Lust, mich für irgendjemand zu verbiegen, und Thale erst recht recht keine Lust, mir Gedanken über Image, Marktposition etc. zu machen. Wenn jemand keinen guten Eindruck von mir hat: Nicht mein Problem. Ich akzeptiere nur die Verantwortung für meine Werke, nicht für die Usererfahrung, es gibt auch keinen After-Sales Service und das Produkt wird sich auch nicht auf Kundenwünsche zugeschneiter. Solltest du es aber mögen, dann kommt die Sonne raus, wenn nicht, scheint sie trotzdem. Ich danke diesem Freund für seinen guten Rat und seine Designvorschläge, ich weiss dass ich wegen meinem Charakter und Lebensart Nackenschläge einstecken werde, in viele saure Äpfel beissen werde, aber wenigstens kann ich sagen dass ich die Dinge von kleinen Geistesblitzen bis zu grossen Idealen durchgezogen habe. Genau deswegen kann es sein, dass es in meinem Leben viele Rückschläge und viel Reue gibt, aber nur wenig, das mir leid tut. Freund, danke für alles was du mir gesagt hast, aber zu Lebzeiten kann man unzählige Male und auf tausend Arten die Herzen der Menschen berühren. Wenn ich es schaffe, ist es mein Glück, schaffe ich es nicht, ist es kein Unglück. Aber in einem Punkt gebe ich dir Recht, Freund: Von nun an, ganz egal wie eilig ich das Haus verlasse, werde ich den Hosenschlitz immer gut zumachen!

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